artmagazine.cc, Online Kunstzeitung
Charles Nebelthau, 03.05.11
Foto artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H., 2011

Martin Heidegger hat neben vielem anderen auch ein Werk “Über die Linie“ geschrieben, und wer sich schon mit den Schuhen von Van Gogh bei Heidegger amüsiert hat, darf sich für die Linie bei Heidegger hübsch fitmachen machen. Schließlich ist die Linie für die Zeichnung das Gefäß, in dem der Körper, steht er für die Zeichnung Akt, stattfindet. Die Schablone hat Heidegger, soweit bekannt, nicht berücksichtigt. Als Heidegger nach Griechenland fuhr mit einem Kreuzfahrtschiff, ist er nicht viel an Land gegangen – auch für Auslassungen kann man Ruhm ernten.

Foto artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H., 2011

Hans Glaser hingegen kümmert sich sehr um Schablonen. Die Linienführung dieser Schablonen verdankt sich dabei meistens fotografischen Vorlagen, die fotokopiert ausgeschnitten und dann beliebig eingesetzt werden können als Auslassungsparkplätze für Sprühfarben – und dies über Jahre hinweg. Wenn ein Maler gelernt hat, einen Mops zu zeichnen, vergißt er den Mops wohlmöglich, aber wenn Hans Glaser eine Schablone mit einem Mops geschnitten hat, kann schlimmstenfalls die Schablone verlorengehen, aber der Mops nicht. Soetwas nennt man materielle Effizienz, und die Street Art ist dafür das dankbarste Betätigungsfeld. In der mit achtzehn Arbeiten bestückten Ausstellung wurde kein Mops gefunden. Dafür Stiere, Alex Katz, Egon Schiele, Marilyn Monroe, ein Flugzeug, ein Flugzeugteil, fokussierte Körperteile in Unterhandlungen mit anderen, ein Läufer, mehrere Interieurs, eine Landschaft bei Wien und unter noch mehr anderem auch der Blick aus dem Strabag-Gebäude. Zwei Bilder nehmen spiegelbildich aufeinander Bezug(MMM MANY MAN MUST, 200×140 und PARK PROBLEME, 200×140), wobei der eine Spiegel mit einem roten Auto zur Decke fährt und auf dem anderen in sehr schönen Grauwirbeln neben der Alex Katz-Figur ein federfliegend feiner Tänzer schwebt, soweit man ihn sehen kann. Die Kombinationen einzelner Bilder deuten an, dass man gegenüber der Kirche die Wachsamkeit noch nicht außer Acht lassen darf, dass der Sex in Teilen, Schachteln und auf jeden Fall bei Egon Schiele genossen werden dürfte und dass auch Sprache in Schablonen paßt – SCHWARZ-WEIß-GRAU I(200×140) sagt uns so, in geschwungenen Typen einwandfrei lesbar „Wir reißen uns die Brust auf“. Ein Chirurg würde vielleicht sagen, wir legen mal das Herz frei, und reißen würde er nicht, sondern in fleischfrommen Kurven langsam die Brust schneiden, aber Hans Glaser schneidet Schablonen und Bilder schneiden nicht, sowenig, wie uns von schneidenden Möpsen bisher erzählt wurde. Wollen wir dieses Bild mitsamt seiner sprechend geschnittenen Anführungszeichen ernstnehmen, so ist es ein multisubjektives, sprechendes Wesen, das eine Brust hat, die es aufreißt. Für gewöhnlich hält man zwei Brüste, auch in Bildern, für passender – aber die Passendheit der einen erwähnten Brust in diesem Bild darf darum nicht geleugnet werden. Es spricht davon, dass ein Bild leidenschaftlich an sein bildliches Herz greift und dabei die darüber liegende Brust aufreißt – und dem zuzugucken, ist nicht so, als würde man einen Verkehrsunfall oder eine andere Gräueltat beobachten. Es ist auch nicht so, wie man sich die Kreuzung zwischen einem Stier und einem Mops vorstellen könnte oder etwas anderes: es ist so, wie man es sieht.

Heidegger war mutmaßlich der Meinung, dass die Bewegung eines Messers eine andere Hingabe verlange als die eines Pinsels, und er war der Meinung, relevante Meinungen zu vertreten. Er war außerdem der Meinung, zwar ein Kreuzfahrtschiffstourist sein zu dürfen, aber nicht ein Griechenlandtourist. Sicher war er als Philosoph von seiner Meinungsfreiheit sehr überzeugt.
ZUM ARTIKEL

Posted in: Presse.
Last Modified: Juni 28, 2013

Leave a reply

required